Sinnlose Wettbewerbe
Warum wir immer mehr Unsinn produzieren
von Mathias Binswanger
- Buch auf Amazon
- ISBN: 978-3451303487
In Sinnlose Wettbewerbe analysiert der Autor künstliche Wettbewerbe ohne Markt und zeigt anhand von Beispielen aus dem Wissenschaftsbetrieb und dem Gesundheitswesen auf, welche Folgen falsche Anreize haben können.
Ich denke, der Autor spricht mit diesem Buch ein wichtiges Thema an und zeigt mit einer guten und kritischen Analyse auf, wo gewisse Probleme mit falschen Anreizen liegen. Doch leider bleibt er relativ vage und knapp, wenn es darum geht, wie diese Probleme gelöst werden können. Etwas gestört haben mich die zahlreichen Druckfehler und der Schreibstil des Autors, der auf mich etwas besserwisserisch wirkte.
Meine Notizen
Einleitung: Ein neues Gespenst geht um in Europa
Was wir als normal oder erstrebenswert erachten, ist zu einem grossen Teil gesellschaftlich bzw. kulturell bedingt. Und erst wenn man mit anderen Kulturen konfrontiert wird oder die Gesellschaft massiv unter ihren eigenen Normen zu leiden beginnt, werden sie als hohl entlarvt.
Die heutigen gesellschaftlichen Ideale kommen in abstrakten Begriffen wie "Effizienz", "Exzellenz", "Leistung", "Markt", "Wettbewerbsfähigkeit", "Innovation" oder "Wachstum" zum Ausdruck und in unzähligen Wettbewerben versuchen wir uns gegenseitig mit diesen Idealen zu übertrumpfen. Immer noch effizienter, noch exzellenter, noch wettbewerbsfähiger und noch innovativer muss man werden, auch wenn man in Wirklichkeit gar nicht so genau weiss, warum und wozu. In unserer gründlich durchsäkularisierten Gesellschaft sind diese Begriffe zu den letzten, nicht mehr zu hinterfragenden Werten geworden, denen zu dienen unser höchstes Ziel ist.
Künstliche Wettbewerbe ohne Markt und die damit verbundenen Illusionen
Der Idealfall des Marktwettbewerbs
Zwar führt der Markt meistens zu besseren Lösungen als jedes andere Verteilungssystem und insbesondere als eine planwirtschaftliche Zuteilung von Gütern. Aber das gilt nicht a priori. Es muss jeweils im Einzelfall abgeklärt werden, ob Märkte tatsächlich die beste Lösung für ein bestimmtes Verteilungsproblem darstellen.
Die Marktillusion: Wo kein Markt ist, sorgen künstliche Wettbewerbe für Effizienz
Häufig werden die Begriffe "Markt" und "Wettbewerb" in einen Topf geworfen nach dem Motto: Wo Markt ist, da ist auch Wettbewerb und umgekehrt. Doch das ist ein gewaltiger Irrtum. [...] Auf der einen Seite haben wir Märkte mit sehr wenig Wettbewerb wie etwa bei einem Monopol oder einem Kartell. Und umgekehrt gibt es unzählige Wettbewerbe, die mit einem Markt nichts zu tun haben wie etwa im Sport.
Die Konsumenten bzw. die eigentlichen Nachfrager einer Leistung oder eines Produktes werden bei solchen Wettbewerben [ohne Markt] gar nicht nach ihren Bedürfnissen gefragt. Es ist vielmehr eine staatliche Behörde oder eine Unternehmensleitung, die Leistungsziele vorgibt, um welche sich die Anbieter dann einen Wettbewerb zu liefern haben. Es gibt keinen Marktpreis, in dem sich die Nachfrage der Konsumenten widerspiegelt und der auf einem funktionierenden Markt dafür sorgt, dass auch das produziert wird, was die Menschen wirklich wollen.
Menschen sind viel weniger daran interessiert, eine absolute Leistung als solche zu erbringen, als sich mit anderen zu vergleichen und besser als diese abzuschneiden.
Wettkämpfe können nur stattfinden, wenn sich am Schluss ein Ranking der Teilnehmer aufgrund von quantitativ messbaren Indikatoren erstellen lässt.
Nur was im Wettbewerb erfolgreich ist, zählt. Damit bleiben viele Eigenschaften auf der Strecke, die letztlich genau die nicht messbare Qualität und damit die wahre Effizienz von Leistungen in Forschung, Bildung und anderen Bereichen ausmachen.
Die Messbarkeitsillusion: Qualitative Leistungen lassen sich mit Kennzahlen messen
Was sich messen lässt, sind nur bestimmte Indikatoren, die dann mit der nicht genau definierbaren Qualität einer Leistung möglichst stark korrelieren sollten.
Je genauer man bestimmte Aspekte der Qualität zu messen versucht, umso mehr verliert man andere, weniger gut messbare Aspekte aus dem Auge.
Je komplexere Indikatorensysteme eingeführt werden, umso komplexer werden auch die dadurch erzeugten Anreize. Für die Mitarbeiter wird es immer unklarer, wie sie sich optimal verhalten sollen, um bei den Indikatoren möglichst gut abzuschneiden. Und wie die Indikatoren mit der gesuchten Leistung wirklich zusammenhängen, wird zu einer "Black Box". So setzt ein Indikatorensystem mit vielen Indikatoren kaum mehr wirksame Anreize und erzielt deshalb auch keine Leistungssteigerungen, weder im erwünschten noch im unerwünschten Sinn. Hingegen führt die Entwicklung, Erhebung und Auswertung der Indikatoren zu einem enormen zusätzlichen bürokratischen Aufwand.
Die Motivationsillusion: Menschen brauchen Zuckerbrot und Peitsche, um Hochleistungen zu erbringen
Die zur Erzeugung von extrinsischer Motivation eingesetzten Zuckerbrote motivieren nicht allzu lange und werten sich mit der Zeit ab. Die extrinsische Motivation bedarf deshalb stets neuer Anreize, es muss immer wieder eine neue Belohnung in Aussicht gestellt werden. [...] Die intrinsische Motivation hingegen bezieht ihren Antrieb aus sich selbst heraus. Deshalb lässt sie sich auch nicht von aussen verordnen oder künstlich erzeugen.
[...] die Förderung der extrinsischen Motivation [führt] in vielen Fällen zu einer Verdrängung der intrinsischen Motivation.
Die Produktion von Unsinn aufgrund künstlicher Wettbewerbe und ihre Folgen
Wo überall Unsinn produziert wird
Eine hohe Maturitätsquote ist ein hervorragendes Mittel, um die Jugendarbeitslosigkeit zu fördern.
Beispiel Wissenschaft: Immer mehr unsinnige Publikationen
Moderne Universitäten sind einerseits Fundraising-Institutionen, die es darauf anlegen, möglichst viele Forschungsgelder für sich abzuzweigen. Und andererseits sind sie Publikationsfabriken, die versuchen, ihren Publikationsoutput zu maximieren.
Die verstärkte Forschung in Teams ist nur ein Grund für die Zunahme der Autoren [einer Publikation]. Der andere Grund liegt in dem Anreiz, möglichst viel zu publizieren und möglichst oft zitiert zu werden. Also versuchen vor allem diejenigen, die eine gewisse Macht in der wissenschaftlichen Hierarchie besitzen (Professoren, Institutsleiter), diese in dem Sinne zu nutzen, dass sie bei allen Publikationen ihrer Forschungsteams genannt sind.
Beispiel Gesundheitswesen: Immer mehr Untersuchungen und Medikamentenvergaben statt individueller Heilung
Die Entwicklung des modernen Gesundheitswesens ist geprägt durch ein ständiges Hin- und Her zwischen "mehr Markt" und "mehr Staat". Weder eine reine Marktlösung noch ausschliesslich vom Staat zur Verfügung gestellte Gesundheitsdienstleistungen führen nämlich zu politisch akzeptablen Resultaten. Zuviel Markt sorgt dafür, dass sich ein Teil der Menschen Gesundheit nicht mehr leisten kann, und zuviel Staat treibt die Gesundheitskosten in immer schwindelerregendere Höhen.
Während die vor Einführung der Fallpauschale bestehende, auf Verweildauer bezogene Abrechnung, einen Anreiz schuf, Patienten möglichst lange im Spital zu behalten, ist die Abrechnung nach Fallpauschalen Anreiz für eine frühzeitige, "blutige Entlassung", da dies einen unmittelbaren kostensparenden Effekt hat. Auf diese Weise steigt der Aufwand an ärztlicher und pflegerischer Versorgung ausserhalb des Spitals, was die Spitäler jedoch wenig kümmert, da ihr Interesse nur darin besteht, die Kosten der stationären Aufenthalte zu senken. [...] Doch nicht nur das. Teilweise treten die gleichen Patienten, die frühzeitig entlassen wurden, kurz darauf mit einer neuen Diagnose wieder ein, denn auf diese Weise lässt sich der gleiche Patient doppelt mit zwei Fallpauschalen abrechnen.
Ausblick: Wenn keine künstlichen Wettbewerbe, was dann?
Im Grunde lassen sich die künstlich inszenierten Wettbewerbe ganz einfach stoppen, indem den mit ihnen verbundenen Aktivitäten der Geldhahn zugedreht wird. Das heisst, der Staat finanziert von nun an weder Datenerhebungen, die solchen Wettbewerben dienen, noch die Erstellung von Rankings und Evaluationen mit diesen Daten.
Nicht Kontrolle, sondern Vertrauen sollte die Basis sein, denn nur so kann eine Atmosphäre entstehen, in welcher kreative und qualitativ hochstehende Leistungen möglich sind. Kontrolliert werden sollen nur diejenigen, die sich über längere Zeit aufgrund regelmässiger Beobachtung als auffällig erweisen.
Qualität ist grundsätzlich nicht messbar, und das gilt es zu akzeptieren. Es spricht nichts dagegen, Kennzahlen zu definieren und zu ermitteln, aber diese dürfen nicht mit Qualität gleichgesetzt werden.