Wikileaks und die Folgen

Die Hintergründe. Die Konsequenzen.

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  • ISBN: 978-3518061701
  • Mein Rating: 6/10

Wikileaks und die Folgen ist eine Sammlung von Artikeln, in denen verschiedene Autoren das Thema Wikileaks aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten.

Ich fand Wikileaks und die Folgen ein informatives Buch, welches sich weniger mit Wikileaks selbst, sondern vielmehr mit den Auswirkungen von Wikileaks beschäftigt. Wie bei fast allen Artikel-Sammlungen ist auch hier die Qualität der Artikel unterschiedlich: Die einen fand ich äusserst interessant, während ich bei anderen beinahe eingeschlafen bin.

Meine Notizen

Hintergründe

Keine Geheimnisse. Julian Assanges Mission der totalen Transparenz. Porträt eines Getriebenen (Raffi Khatchadourian)

Die Schlüsselfiguren sind nur unter Initialen bekannt – M. etwa – und das selbst in den innersten Zirkeln von Wikileaks, in denen mittels verschlüsselter Onlinechatdienste kommuniziert wird. Diese Geheimniskrämerei rührt von der Überzeugung her, dass eine aufs Massenpublikum zielende Aufklärungsoperation ohne nennenswerte Ressourcen, deren Ziel es ist, Informationen publik zu machen, die mächtige Institutionen nicht veröffentlicht sehen wollen, ernstzunehmende Gegner auf den Plan rufen wird.

Mit seinem geisterhaften weissen Haar, fahlen Teint, kalten Blick und seiner hohen Stirn wirkt er im Schein der Studiolampen mitunter wie ein spindeldürres Wesen vom anderen Stern, das auf der Erde gelandet ist, um der Menschheit eine verborgene Wahrheit zu überbringen. Verstärkt wird dieser Eindruck noch durch sein steifes Gebaren und eine Baritonstimme, die mit einer zurückhaltenden, langsamen und leisen Sprechweise einhergeht.

[...] seine Mission bestünde darin, Ungerechtigkeiten anzuprangern und nicht eine unparteiische Dokumentation von Ereignissen zu liefern.

Wenn es zu viele Geheimnisse gibt, wird es schwierig, die wichtigen von den unwichtigen zu unterscheiden.

Eher früher als später wird Assange sich dem paradoxen Charakter seiner Schöpfung stellen müssen: Das, was er am meisten zu verabscheuen scheint – Macht ohne Rechenschaftspflicht – ist genetisch in seiner eigenen Website verankert und wird immer deutlicher hervortreten, je mehr sich Wikileaks in eine Institution verwandelt.

Der Gegenverschwörer (Niklas Hofmann)

Der Kryptoanarchismus postuliert, sehr vereinfacht dargestellt, dass eine Asymmetrie bestehe zwischen dem Staat, der einen möglichst grossen Teil der Kommunikation seiner Bürger zu überwachen trachte, und ebendiesen Bürgern, denen gegenüber der Staat zugleich vieles geheimhalte. Die technologische Revolution, der Cyberspace, könne diese Verhältnisse umkehren. Alle privaten Informationen könnten und sollten mit kryptographischen Mitteln geheimgehalten werden. Der Staat wäre zur Machtausübung, zur Unterdrückung des einzelnen dann nicht mehr in der Lage.

Von allen Tyranneien ist eine Tyrannei, die aufrichtig das Beste für ihre Opfer will, vielleicht die repressivste. Es ist vielleicht besser, unter Räuberbaronen zu leben als unter moralischen Wichtigtuern. Die Grausamkeit des Räuberbarons schläft vielleicht auch manchmal, seine Habgier ist vielleicht auch einmal befriedigt; aber diejenigen, die uns zu unserem eigenen Besten quälen, werden uns endlos quälen, denn sie tun es im Einverständnis mit ihrem eigenen Gewissen.

C. S. Lewis

Die Wurzeln von Wikileaks (Detlef Borchers)

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Wikileaks und das Netz

Nur Maschinen brauchen keine Geheimnisse (Jaron Lanier)

Was passiert mit der Welt, wenn sich die Anzahl der Geheimnisse im Minutentakt verringert und allmählich gegen null geht? Wäre eine Welt ohne Geheimnisse gerechter oder mitfühlender? Effektiver? Macht es einen Unterschied, wenn manche Geheimnisse früher gelüftet werden als andere?

Ziviler Ungehorsam lebt von der uneingeschränkten Anerkennung des gemeinsamen Ziels, in einer zivilisierten Welt zu leben. Das funktioniert aber nur, wenn derjenige, der protestiert, sich bereitwillig verhaften lässt und seine Gegner nicht verhöhnt.

Solange ein Geheimnis nicht von vitaler Bedeutung für andere Menschen ist, hat jeder ein Recht auf seine Privatsphäre. Ist das Geheimnis hingegen von vitaler Bedeutung für andere, dann ist es legitim, dass es innerhalb der Grenzen gut funktionierender demokratischer Prozesse von Personen gehütet wird, die dazu befugt sind und dann auch zur Rechenschaft gezogen werden können. Die Ideologie der selbstherrlichen Nerds [...] stellt heute beide [Punkte] in Frage.

Zwölf Thesen zu Wikileaks (Geert Lovink, Patrice Riemens)

[...] Wikileaks [ist] populistisch, insofern es die Unzufriedenheit mit der etablierten Politik nutzt. Wikileaks hofft nicht auf das grosszügige Zugeständnis politischer Legitimität seitens der Regierenden, sondern sucht diese dort, wo sie heute in der Medien- und Infogesellschaft vornehmlich produziert wird: in der ekstatischen Banalität des Spektakels.

[...] Wikileaks [erweist sich] in seiner gegenwärtigen Verfassung als ein typisch westliches Produkt und kann für sich keineswegs [...] globale Geltung beanspruchen.

Wikileaks ist eine typische single person organization. Initiative, Entscheidungsfindung und Ausführungsprozess sind weitgehend zentralisiert: Sie liegen in der Hand eines einzigen Individuums. [...] Der souveräne Hacker Julian Assange ist die Galionsfigur der Plattform Wikileaks, deren Ruf sich mit dem seinen mischt. So verfliessen die Grenzen zwischen dem, was Wikileaks tut, für was es steht, und Assanges eher unruhigem Privatleben sowie seiner etwas ungehobelten politischen Meinung.

Wikileaks und die neue Ökologie der Nachrichtenmedien (Felix Stalder)

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Wikileaks und die Medien

"Wir halten kritische Distanz" (Michael Hanfeld)

Nicht alles, was Staaten als Geheimnis betrachten, muss auch für Journalisten ein Geheimnis sein.

Es bleibt im Kern, dass wir in einem digitalen Zeitalter leben, in dem Daten in grossen Mengen gespeichert und bewegt werden und schwer zu schützen sind. Sind wir [der Spiegel] der Meinung, dass alles publiziert gehört? Natürlich nicht. Es gibt schützenswerte Geheimnisse, die Privatsphäre gilt es zu respektieren. Niemand kann wollen, dass schlichtweg alles veröffentlicht werden soll.

Wikileaks und der investigative Datenjournalismus. Wie wir beim Guardian mit den Wikileaks-Dateien umgehen (Simon Rogers)

Zuweilen wird behauptet, das Internet sei der Tod des Journalismus. Im Fall von Wikileaks arbeiten beide eng zusammen: Klassische journalistische Fertigkeiten und neue Technologien werden vor den selben Karren gespannt, um eine aufregende Geschichte zu erzählen.

Der Skandal im Datenhaufen: Ein Selbstversuch (Michael Moorstedt)

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Das offene Geheimnis: Zur Politik der Wahrheit im Datenjournalismus (Mercedes Bunz)

Datenjournalismus gewinnt seine Erkenntnisse aus dem Umgang mit Bergen von Daten, und folgende fünf Momente greifen häufig ineinander, wenn aus diesen Bergen Journalismus wird. Erstens erfüllen diese Daten erst dann journalistische Kriterien, wenn aus ihnen ein Erkenntnisgewinn von öffentlichem Interesse gezogen wird [...]. Zudem muss zweitens die Zuverlässigkeit der Daten eingeordnet werden, das heisst, sie müssen quellenkritisch abgeklopft werden: Ist das Material authentisch? Da Berge oft unübersichtlich sind, werden sie drittens zur Begehung gerne kartographiert, und das ist im Journalismus [...] auch nicht anders – qua Sortierung wird das Material in der Tiefe zugänglich gemacht, durchsucht und geordnet. [...] Gekennzeichnet ist Datenjournalismus daneben oft viertens durch die Veröffentlichung seiner Ergebnisse in visualisierter Form. [...] fünftens [kann] auch die partielle oder vollständige Veröffentlichung der Daten erfolgen.

Wikileaks und die Diplomatie

Das Wikileaks-Paradox: Weniger Transparenz, mehr Geheimdiplomatie (Wolfgang Ischinger)

Diplomatie beruht auf Vertrauen. Sobald dieses Vertrauen zwischen Gesprächspartners und Informanten nicht mehr vorhanden ist oder das Versprechen der Vertraulichkeit nicht eingehalten werden kann, ist es schwierig, gelegentlich sogar unmöglich, diese unabdingbare Geschäftsgrundlage wiederherzustellen.

Belastbare Informationen, die von Diplomaten im Gastland für die Entscheidungsträger zu Hause zusammengestellt und bewertet werden, sind für die erfolgreiche Aussenpolitik unabdingbar. Es ist die wichtigste Aufgabe der Botschaften, ihre Regierung über die Geschehnisse vor Ort auf dem laufenden zu halten – wenn es sein muss, in deutlichen Worten. Dies ist natürlich nur möglich, wenn man nicht befürchten muss, kurz darauf alles im Internet nachlesen zu können.

Während die Organisation [= Wikileaks] persönliche Konsequenzen für Diplomaten und ihre Quellen als "Kollateralschäden" im Kampf für mehr Transparenz billigend in Kauf nimmt, handelt sie selbst weit weniger durchsichtig, wird von niemandem kontrolliert und sichert ihren eigenen Quellen totalen Schutz und Anonymität zu. Auf diese Weise hat Wikileaks neue Geheimnishüter hervorgebracht. Nicht mehr der Staat entscheidet, welche Information im Bereich der Aussenpolitik geheim bleiben soll, sondern eine Gruppe von Menschen, die von niemandem zur Rechenschaft gezogen werden kann.

Wikileaks und warum Diskretion in der Aussen- und Sicherheitspolitik wichtig ist (Volker Perthes)

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Wikileaks und die Ära des radikalen Wandels (John C. Kornblum)

Wikileaks wird von einer Gruppe radikaler Personen angeführt, deren Handeln sich an dem Motto "Wir legen die Spielregeln fest" orientiert. Auch wenn sie keine Gewalt einsetzen, verfolgen sie doch explizit dieselben Ziele wie die Terroristen des 11. September: Sie wollen die USA massiv schwächen – und damit letztendlich die ganze westliche Welt.

Wikileaks und die Demokratie

Zur Dialektik der Aufklärung der Politik (Christoph Möllers)

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Das missbrauchte Staatsgeheimnis. Wikileaks und die Demokratie (Rahul Sagar)

[...] lässt sich das Recht, Informationen zu Staatsgeheimnissen zu erklären, zur Vertuschung des Fehlverhaltens von Behörden und ihren Mitarbeitern missbrauchen. [...] Damit stehen wir vor einer grundsätzlichen Frage: Was kann eine Demokratie, die Staatsgeheimnisse nicht generell verbieten will, gegen deren Missbrauch durch staatliche Stellen tun?

[...] Staatsgeheimnisse [erschweren] öffentliche Beratungen erheblich. Sie ermöglichen es Behördenvertretern, umstrittene Entscheidungen mit der Behauptung zu legitimieren, sie verfügten über Erkenntnisse, die diese Entscheidungen unabdingbar machten, der Öffentlichkeit aber nicht mitgeteilt werden könnten.

Falscher Alarm (Dirk Baecker)

Diplomatie ist ein Austausch von Informationen unter der Bedingung des Wissens, dass alle Beteiligten wissen, dass niemand weiss, was der andere tatsächlich nicht weiss.