Wer bin ich, wenn ich online bin...

...und was macht mein Gehirn solange? - Wie das Internet unser Denken verändert

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  • Buch auf Amazon
  • ISBN: 978-3896674289
  • Mein Rating: 6/10

In Wer bin ich, wenn ich online bin... beschreibt der Autor die Auswirkungen des Internets auf unser Denken und wie es auch unser Gehirn verändert.

Mein Eindruck ist zwiespältig. Auf der einen Seite fand ich es gut und interessant, dass sich der Autor kritisch mit dem Internet auseinandersetzt und die Auswirkungen von neuen Medien auch im historischen Kontext aufzeigt (z.B. die Auswirkungen des Buches auf unser Denken). Auf der anderen Seite fand ich das Buch etwas langatmig und ich habe irgendwie den roten Faden vermisst. Ausserdem hat mich gestört, dass der Autor manchmal die Begriffe "Wissen" und "Information" verwechselt, d.h. er spricht manchmal von Wissen, wenn er eigentlich Informationen meint.

Meine Notizen

Vorwort

Was geschieht, wenn Entscheidungsprozesse nicht nur an Computer abgegeben werden, sondern auch alle sozialen Kontakte über Algorithmen verwaltet und selektiert werden?

Längst leben wir in einer Zeit, wo Journalisten nicht mehr für Menschen, sondern für Google schreiben, nämlich Überschriften und Teaser so formulieren, dass die Suchmaschine sie erkennt und bevorzugt.

An den Schwierigkeiten, konzentriert zu lesen, merkt der denkende Mensch als erstes, dass etwas mit seinem Denken geschieht.

Prolog: Der Wachhund und der Dieb

Wann immer ein neues Medium aufkommt, konzentrieren sich die Menschen – McLuhan zufolge – zunächst auf die von ihm transportierten Informationen. Die Technologie des Mediums jedoch, so erstaunlich sie auch sein mag, verschwindet dabei hinter seinem Inhalt.

Wenn die Leute zu diskutieren beginne, ob die Auswirkungen eines Mediums nun gut oder schlecht sind, dann streiten sie sich regelmässig nur über den Inhalt.

Der Computer ist so sehr unser Diener, dass es fast schon kleinlich erschiene zu bemerken, dass er gleichzeitig auch unser Herr ist.

HAL und ich

Eine Auswirkung des Internets scheint es zu sein, dass es mir zunehmend schwerfällt, mich zu konzentrieren und intensiv nachzudenken.

Wenn man dem Piepen und Klirren [des Modems] lauschte, war es, als hörte man ein paar Robotern bei einer freundlichen Diskussion zu.

Die lebenswichtigen Bahnen

Dank der Plastizität des Gehirns können sich praktisch alle unsere Gehirnwindungen verändern – ob sie nun mit dem Fühlen, Sehen, Hören, Denken, Lernen, Wahrnehmen oder Erinnern zu tun haben.

Die Plastizität verringert sich zwar mit zunehmendem Alter – das Gehirn vertraut sozusagen immer mehr auf Altbewährtes – verschwindet jedoch nie ganz.

Wir verändern uns durch die Art, wie wir leben, und durch die Dinge, die wir benutzen. Doch nicht nur wiederholte physische Handlungen können unser Gehirn neu verdrahten. Rein geistige Aktivität kann unsere neuronalen Netze ebenfalls verändern.

Neurologisch betrachtet werden wir zu dem, was wir denken.

Die Neuroplastizität bietet zwar einen Ausweg aus dem genetischen Determinismus, ein Hintertürchen für gedankliche Freiheit und freien Willen, doch drückt sie unserem Verhalten ihre eigene Form von Determinismus auf. Wenn bestimmte neuronale Netze in unserem Gehirn durch die Wiederholung einer physischen oder mentalen Aktivität verstärkt werden, beginnen sie, diese Aktivität als Gewohnheit abzuspeichern.

Das Paradoxon der Neuroplastizität ist, dass sie uns zwar mit geistiger Flexibilität ausstattet, aber uns möglicherweise auch in "starre Verhaltensmuster" zwingen kann.

Das Gehirn kann durch physische oder mentale Übung nicht nur neue und stärkere neuronale Netze aufbauen, diese können auch schwächer werden oder ganz verschwinden, wenn man sie vernachlässigt.

Denkwerkzeuge

Jede Technik ist ein Ausdruck menschlichen Willens. Durch unsere Werkzeuge versuchen wir, unsere Macht und Kontrolle über unsere Umwelt auszudehnen – über die Natur, über Zeit und Entfernung, über unsere Mitmenschen.

Unsere Techniken lassen sich grob in vier Kategorien einteilen, je nachdem in welchem Masse sie unsere angeborenen Fähigkeiten ersetzen oder verstärken. Die erste Kategorie verstärkt unsere körperliche Kraft, Geschicklichkeit oder Belastbarkeit (z.B. Pflug, Nähnadel). Die zweite vergrössert die Reichweite oder Empfindlichkeit unserer Sinne (z.B. Mikroskop). Zur dritten Kategorie gehören Techniken, die uns helfen, die Natur unseren Bedürfnissen und Wünschen entsprechend umzugestalten und nutzbar zu machen (z.B. Anti-Baby-Pille, gentechnisch veränderter Mais). Unter die vierte Kategorie fallen "intellektuelle Techniken" (z.B. Uhr, Karte). Diese Kategorie umfasst sämtliche Werkzeuge und Hilfsmittel, die wir benutzen, um unsere intellektuellen Kräfte zu unterstützen oder zu verstärken – um Informationen zu finden und einzuordnen, Gedanken zu formulieren und zu artikulieren, Know-How und Wissen zu verbreiten, Masse zu nehmen und Kalkulationen durchzuführen oder unser Erinnerungsvermögen zu erweitern.

Jede intellektuelle Technik verkörpert eine geistige Ethik, ein Theoriegebäude zu der Frage, wie der menschliche Geist arbeitet oder arbeiten sollte.

Technischer Fortschritt markiert oft einen Wendepunkt in der Geschichte.

Die Vertiefung der Seite

Alle grossen Männer haben mit Stolz geschrieben und sich nicht um eine Erklärung geschert. Sie wussten, dass sie irgendwann einen intelligenten Leser erreichen würden, der ihnen dankbar ist.

Ralph Waldo Emerson

Die Worte in den Büchern förderten nicht nur das abstrakte Denken der Menschen, sie bereicherten das Erleben der dinglichen Welt, der Welt ausserhalb des Buches.

Ein Medium höchst allgemeiner Natur

Das Netz unterscheidet sich von den meisten anderen Massenmedien, die es ersetzt, in einem offensichtlichen und sehr wichtigen Punkt: Es ist bidirektional.

Wenn Informationen erst einmal digitalisiert sind, verschwimmen die Grenzen zwischen den Medien. Wir ersetzen unsere Spezialinstrumente durch ein Universalwerkzeug.

Wenn alte Technologien durch neue ersetzt werden, werden die alten Technologien oft noch lange Zeit weiter benutzt.

Wann immer wir unseren Computer anschalten, betreten wir ein undurchdringliches "Ökosystem von Ablenkungstechnologien".

Wenn Informationen leicht zugänglich sind, bevorzugen wir meistens die kurzen, die netten und die mundgerechten.

Tyler Cowen

Der Stellenwert des Buches heute

Die digitale Medienrevolution wird auch vor dem Buch nicht haltmachen. Die wirtschaftlichen Vorteile digitaler Produktion und Distribution – keine Anschaffungskosten für Tinte und Papier, keine Druckkosten, kein Verladen schwerer Kisten auf Lastwagen, keine Retouren unverkaufter Exemplare – sind für Buchverlage und Vertriebe ebenso verlockend wie für alle anderen Medienunternehmen auch.

Sobald man ein Buch mit Links spickt und es mit dem Internet verbindet – es also "erweitert", "anreichert" und "dynamisch" macht – verändert man es in seinem Wesen und damit auch das Leseerlebnis an sich.

Ein Wandel des Leseverhaltens wird auch einen Wandel des Schreibstils mit sich bringen, da sich Autoren und Verleger auf die neuen Gewohnheiten und Erwartungen der Leser einstellen werden.

Auch die provisorische Natur des digitalen Textes wird die Schreibstile sicherlich beeinflussen. Ein gedrucktes Buch ist ein fertiggestelltes Objekt. Einmal zu Papier gebracht, werden seine Worte unauslöschlich. Elektronische Texte sind hingegen nicht von Bestand. Die Überarbeitung eines Textes kann endlos fortgesetzt werden.

Warum in aller Welt sollte man sich denn während des Programmierens von einer E-Mail unterbrechen und ablenken lassen wollen?

Gehirnakrobatik

Wenn wir online gehen, begeben wir uns in eine Umgebung, die oberflächliches Lesen, hastiges und zerstreutes Denken und flüchtiges Lernen fördert. Freilich ist es möglich, beim Surfen im Netz angestrengt nachzudenken, ebenso wie es möglich ist, bei der Lektüre eines Buches unkonzentriert zu sein, doch ist dies nicht die Art von Denken, die von der Technologie gefördert und belohnt wird.

Wenn wir online sind, merken wir häufig gar nicht mehr, was um uns herum geschieht.

Das Netz zieht unsere Aufmerksamkeit auf sich, nur um sie dann zu zerstreuen.

Unterbrechungen der Aufmerksamkeit geben unserem Unterbewusstsein Zeit, sich auf ein Problem einzustellen, und dadurch Informationen und kognitive Prozesse freizusetzen, die der bewussten Absicht nicht zugänglich sind.

In aller Regel treffen wir bessere Entscheidungen, wenn wir unsere Aufmerksamkeit von einer schwierigen geistigen Herausforderung eine Zeit lang abwenden. Unsere unbewussten Denkprozesse befassen sich jedoch erst dann mit einem Problem, wenn wir es zuvor klar und bewusst definiert haben.

Das Internet ist von seinem Wesen her ein Unterbrechungssystem, eine Maschine zur Ablenkung und Minderung der Aufmerksamkeit.

Regelmässige Unterbrechungen verwirren unsere Gedanken, schwächen unser Erinnerungsvermögen und bereiten uns Anspannung und Stress. Je komplexer der Gedanke, mit dem wir uns gerade befassen, desto grösser ist der Schaden, den eine Ablenkung anrichtet.

Wir lechzen nach Neuem, selbst wenn wir wissen, dass das Neue meist nicht unbedingt wichtig, sondern eher trivial ist. Also bitten wir das Internet, uns weiterhin auf unterschiedliche Art und Weise und immer öfter zu unterbrechen. Billigend nehmen wir dabei den Verlust unserer Konzentration in Kauf. Im Gegenzug erhalten wir wichtige oder zumindest unterhaltsame Informationen. Sich einfach auszuloggen ist eine Option, die die meisten von uns nicht in Betracht ziehen.

So etwas wie gemütliches Browsen gibt es im Netz nicht. Wir wollen, so schnell wir unsere Finger und Augen bewegen können, so viel Informationen wie möglich sammeln.

Wer überall ist, ist nirgendwo.

Seneca

Es gibt zwei Arten von Wissen. Entweder verfügen wir selbst über die jeweiligen Kenntnisse, oder wir wissen, wo man Informationen darüber finden kann.

Samuel Johnson

Wir sind nicht schlauer als unsere Eltern und Grosseltern. Wir sind nur auf eine andere Weise schlau.

Die heilige Kirche Google

Nach Ansicht von Google ist Wissen eine Art Ware, eine nützliche Ressource, die mit industrieller Effizienz ausgebeutet und verarbeitet werden kann und sollte.

Die Profite von Google hängen direkt von der Geschwindigkeit ab, mit der die Menschen Wissen aufnehmen. Je schneller wir über die Oberfläche des Internets surfen – je mehr Links wir anklicken und Präsenzen besuchen –, desto mehr Gelegenheiten erhält Google, Informationen über uns zu sammeln und uns mit Werbeanzeigen zu füttern.

Jeder Klick, den wir im Internet machen, bedeutet eine Unterbrechung unserer Konzentration, eine Ablenkung unserer Aufmerksamkeit – und es ist im wirtschaftlichen Interesse von Google, dass wir so oft wie möglich klicken.

Die ultimative Suchmaschine ist etwas, das so schlau ist wie die Menschen selbst – oder schlauer.

Larry Page

Suchen und Speichern

Wenn unser Schlaf leidet, dann leidet auch unser Gedächtnis.

Ein biologischen Gedächtnis ist lebendig. Die Datenspeicherung eines Computers nicht.

Das biologische Gedächtnis befindet sich in einem Zustand ständiger Erneuerung. Die auf einem Computer gespeicherten Daten hingegen nehmen die Form ganz bestimmter, statischer Elemente oder "Bits" an.

Im Gegensatz zu einem Computer gelangt das normale menschliche Gehirn niemals an einen Punkt, an dem Erfahrungen nicht mehr gespeichert werden können.

Nelson Cowan

Bedingt durch die Plastizität unserer neuronalen Verbindungen gewöhnen wir durch zunehmende Internetnutzung unser Gehirn immer mehr daran, abgelenkt und zerstreut zu werden – sprich: Informationen sehr schnell und sehr effizient zu verarbeiten, aber ohne dauerhafte Aufmerksamkeit.

Je schwieriger es durch die Internetnutzung für uns wird, Informationen in unserem biologischen Gedächtnis zu speichern, desto mehr sind wir gezwungen, uns auf das weitläufige und leicht zu durchsuchende künstliche Gedächtnis des Internets zu verlassen, selbst wenn wir dadurch zu noch oberflächlicheren Denkern werden.

Zu denken lernen bedeutet wirklich, zu lernen, wie man einigermassen darüber die Kontrolle behält, was und wie man denkt. Es bedeutet, so aufmerksam zu bleiben, dass man bewusst entscheiden kann, worauf man sich konzentriert und wie man aus einer Erfahrung eine Bedeutung konstruiert.

David Foster Wallace

Ein Ding gleich mir

Jedes Werkzeug eröffnet zwar neue Möglichkeiten, setzt aber gleichzeitig auch Grenzen. Je mehr wir es benutzen, desto mehr passen wir uns seiner Form uns Funktion an.

Wenn wir Teile von uns selbst künstlich erweitern, distanzieren wir uns damit auch von dem verstärkten Teil und seinen natürlichen Funktionen.