... trotzdem Ja zum Leben sagen

Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager

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  • ISBN: 978-3466368594
  • Mein Rating: 7/10

In ... trotzdem Ja zum Leben sagen erzählt der Autor von seiner Zeit als Häftling in verschiedenen Konzentrationslagern und beschreibt die psychologischen Auswirkungen auf die Häftlinge.

Das Buch besteht aus zwei Teilen: dem eigentlichen Erfahrungsbericht und einem Theaterstück. Das Theaterstück hat mich nicht angesprochen. Den Erfahrungsbericht hingegen fand ich sehr beeindruckend, und er lässt einen nachdenklich zurück. Doch irgendwie hatte ich das Gefühl, dass ein wichtiger Teil fehlt, und zwar, weshalb jemand ins Konzentrationslager geht. Denn der Autor hatte ein Visum für die USA und hätte somit dem Konzentrationslager entgehen können. Trotzdem hat er sich dazu entschieden, ins Konzentrationslager zu gehen. Gemäss Wikipedia tat er dies, weil er seine Eltern nicht allein lassen wollte. Diesbezüglich hätte ich gerne seine Überlegungen hinter diesem Entscheid erfahren.

Meine Notizen

Ein Psychologe erlebt das KZ

Alle übrigen, die gewöhnlichen Häftlinge, pflegten Zigaretten, in deren Besitz sie auf dem Wege über Prämienscheine und somit über lebensgefährliche zusätzliche Arbeitsleistungen kamen, in Nahrungsmittel umzusetzen, ausser sie hatten es aufgegeben, weiterzuleben, hatten ihre Situation für aussichtslos angesehen und beschlossen, die letzten Lebenstage, die ihnen noch zur Verfügung standen, zu "geniessen": wenn ein Kamerad einmal begann, seine paar Zigaretten selber zu rauchen, dann wussten wir, dass er nicht mehr daran glaubte, weitermachen zu können – und es dann auch tatsächlich nicht konnte.

Die erste Phase: Die Aufnahme ins Lager

Ich fragte Kameraden, die schon länger im Lager waren, wohin mein Kollege und Freund P. gekommen sein mochte. "Ist er auf die andere Seite geschickt worden?" - "Ja", sage ich. "Dann siehst du ihn dort", sagt man mir. Wo? Eine Hand zeigt zu einem wenige hundert Meter entfernten Schlot, aus dem eine viele Meter hohe Art Stichflamme unheimlich in den weiten, grauen polnischen Himmel emporzüngelt, um sich in eine düstere Rauchwolke aufzulösen.

Während wir noch auf die Dusche warten, erleben wir so recht unser Nacktsein: dass wir jetzt wirklich gar nichts mehr haben ausser diesen unseren nackten Körper (unter Abzug seiner Haare), dass wir jetzt nichts mehr besitzen ausser unsere buchstäblich nackte Existenz.

In Auschwitz fürchtet der Häftling, der noch im Schockstadium steht, den Tod ganz und gar nicht; ihm ist in den ersten Tagen seines Aufenthaltes die Gaskammer längst kein Schrecken mehr, in seinen Augen stellt sie lediglich etwas dar, was den Selbstmord erspart.

"Nur eines bitte und rate ich euch, rasiert euch, wenn möglich, täglich, womit immer, meinetwegen mit einem Glasscherben, oder gebt euer letztes Stück Brot dafür her, dass einer euch rasiert. Ihr schaut dann jünger aus und die Wangen werden rosiger, wenn an ihnen herumgeschabt worden ist. Nur nicht krank werden, nur nicht krank aussehen! Wollt ihr am Leben bleiben, dann gibt es nur ein Mittel: den Eindruck der Arbeitsfähigkeit erwecken."

In einer abnormalen Situation ist eine abnormale Reaktion eben das normale Verhalten.

Die zweite Phase: Das Lagerleben

Dann ist da der Ekel. Der Ekel vor all der Hässlichkeit, schon rein äusserlich, von der sich der Häftling umgeben findet. Er ist wie die meisten Kameraden in Lumpen "eingekleidet" worden, die eine Vogelscheuche im Vergleich mit seinem Aufzug elegant erscheinen lassen.

Leidende, Kranke, Sterbende, Tote – all dies ist ein so geläufiger Anblick nach einigen Wochen Lagerleben, dass es nicht mehr rühren kann.

Der körperliche Schmerz, den Schläge verursachen, ist – bei uns erwachsenen Häftlingen übrigens ebenso wie bei gezüchtigten Kindern! – nicht das Wesentliche; der seelische Schmerz, will heissen: die Empörung über die Ungerechtigkeit bzw. die Grundlosigkeit ist dasjenige, was einem in diesem Moment eigentlich weh tut.

Die Apathie als Hauptsymptom der zweiten Phase ist ein notwendiger Selbstschutzmechanismus der Psyche. Die Wirklichkeit wird abgeblendet. Alles Trachten und damit auch das gesamte Gefühlsleben konzentriert sich auf eine einzige Aufgabe: die pure Lebenserhaltung – die eigene und die gegenseitige!

Und wenn wir, abends vor dem Schlafengehen uns entlausend, den eigenen Körper nackt sahen, da dachte jeder von uns beiläufig dasselbe: Eigentlich ist dieser Körper da, mein Körper, schon ein Kadaver. Was war man noch? Ein kleiner Teil einer grossen Masse Menschenfleisch; einer Masse hinter Stacheldrähten, die in ein paar Erdhütten gezwängt war; einer Masse, von der täglich ein ganz bestimmter Prozentsatz zu faulen begann, weil er leblos geworden war.

Empfindsame Menschen, die von Haus aus gewohnt sind, in einem geistig regen Dasein zu stehen, werden daher unter Umständen trotz ihrer verhältnismässig weichen Gemütsveranlagung die so schwierige äussere Situation des Lagerlebens zwar schmerzlich, aber doch irgendwie weniger destruktiv in bezug auf ihr geistiges Sein erleben. Denn gerade ihnen steht der Rückzug aus der schrecklichen Umwelt und die Einkehr in ein Reich geistiger Freiheit und inneren Reichtums offen. So und nur so ist die Paradoxie zu verstehen, dass manchmal die zarter Konstituierten das Lagerleben besser überstehen konnten als die robusteren Naturen.

Wer unsere Gesichter gesehen hätte, strahlend vor Entzücken, als wir durch die vergitterten Luken eines Gefangenentransportwaggons auf der Bahnfahrt von Auschwitz in ein bayerisches Lager auf die Salzburger Berge hinaussahen, deren Gipfel gerade im Abendrot erstrahlten, der hätte es nie glauben können, dass es die Gesichter von Menschen waren, die praktisch mit ihrem Leben abgeschlossen hatten; trotzdem – oder gerade deshalb? – waren sie hingerissen vom jahrelang entbehrten Anblick der Naturschönheit.

Ist es schon erstaunlich genug für den Aussenstehenden, dass es im Konzentrationslager so etwas wie Natur- oder Kunsterleben gibt, so mag es noch erstaunlicher klingen, wenn ich sage, dass es dort auch Humor gibt. Freilich: wiederum nur in Ansätzen, und wenn, dann natürlich nur für Sekunden oder Minuten. Auch der Humor ist eine Waffe der Seele im Kampf um ihre Selbsterhaltung. Ist es doch bekannt, dass der Humor wie kaum sonst etwas im menschlichen Dasein geeignet ist, Distanz zu schaffen und sich über die Situation zu stellen, wenn auch nur, wie gesagt, für Sekunden.

Ich wusste, dass ich auf einem Arbeitskommando in kürzester Zeit zugrunde gehen musste; galt es schon zu sterben, dann sollte mein Sterben Sinn haben. Als Arzt meinen kranken Kameraden halbwegs helfen zu können, schien mir zweifellos sinnvoller zu sein als dieses Vegetieren und schliessliche Krepieren als höchst unproduktiver Erdarbeiter, der ich damals war.

Die Majorität der Häftlinge ist begreiflicherweise von einer Art Minderwertigkeitsgefühl geplagt. Jeder von uns war einmal "Jemand" oder glaubte zumindest, jemand gewesen zu sein. Jetzt aber, hier, wird er buchstäblich so behandelt, als ob er ein Niemand wäre.

Wer von denen, die das Konzentrationslager erlebt haben, wüsste nicht von jenen Menschengestalten zu erzählen, die da über die Appellplätze oder durch die Baracken des Lagers gewandelt sind, hier ein gutes Wort, dort den letzten Bissen Brot spendend? Und mögen es auch nur wenige gewesen sein – sie haben Beweiskraft dafür, dass man dem Menschen im Konzentrationslager alles nehmen kann, nur nicht: die letzte menschliche Freiheit, sich zu den gegebenen Verhältnissen so oder so einzustellen. Und es gab ein "So oder so"! Und jeder Tag und jede Stunde im Lager gab tausendfältige Gelegenheit, diese innere Entscheidung zu vollziehen, die eine Entscheidung des Menschen für oder gegen den Verfall an jene Mächte der Umwelt darstellt, die dem Menschen sein Eigentliches zu rauben drohen – seine innere Freiheit – und ihn dazu verführen, unter Verzicht auf Freiheit und Würde zum blossen Spielball und Objekt der äusseren Bedingungen zu werden und sich von ihnen zum "typischen" Lagerhäftling umprägen zu lassen.

In letzter Sicht erweist sich das, was mit dem Menschen innerlich geschieht, was das Lager aus ihm als Menschen scheinbar "macht", als das Ergebnis einer inneren Entscheidung. Grundsätzlich also kann jeder Mensch, und auch noch unter solchen Umständen, irgendwie entscheiden, was – geistig gesehen – im Lager aus ihm wird: ein typischer "KZler" – oder ein Mensch, der auch hier noch Mensch bleibt und die Menschenwürde bewahrt.

Die geistige Freiheit des Menschen, die man ihm bis zum letzten Atemzug nicht nehmen kann, lässt ihn auch noch bis zum letzten Atemzug Gelegenheit finden, sein Leben sinnvoll zu gestalten. Denn nicht nur ein tätiges Leben hat Sinn, indem es dem Menschen die Möglichkeit gibt, in schöpferischer Weise Werte zu verwirklichen; und nicht nur ein geniessendes Leben hat Sinn, also ein Leben, das dem Menschen Gelegenheit gibt, im Erlebnis der Schönheit, im Erleben von Kunst oder Natur, sich zu erfüllen; sondern auch noch das Leben behält seinen Sinn, das – wie etwas im Konzentrationslager – kaum eine Chance mehr bietet, schöpferisch oder erlebend Werte zu verwirklichen, vielmehr nur noch eine letzte Möglichkeit zulässt, das Leben sinnvoll zu gestalten, nämlich eben in der Weise, in der sich der Mensch zu dieser äusserlich erzwungenen Einschränkung seines Daseins einstellt.

Wer ein Warum zu leben hat, erträgt fast jedes Wie.

Friedrich Nietzsche

Die unmittelbare Wirkung des Seins, des Vorbildseins, ist immer eine grössere als die der Sprache.

[...] es gibt auf Erden zwei Menschenrassen, aber auch nur diese beiden: die "Rasse" der anständigen Menschen und die der unanständigen Menschen. Und beide "Rassen" sind allgemein verbreitet: in alle Gruppen dringen sie ein und sickern sie durch; keine Gruppe besteht ausschliesslich aus anständigen und ausschliesslich aus unanständigen Menschen, in diesem Sinne ist also keine Gruppe "rassenrein" – nun, und so gab es den einen oder andern anständigen Kerl eben auch unter der Wachmannschaft!

Was also ist der Mensch? Er ist das Wesen, das immer entscheidet, was es ist. Er ist das Wesen, das die Gaskammern erfunden hat; aber zugleich ist er auch das Wesen, das in die Gaskammern gegangen ist aufrecht und ein Gebet auf den Lippen.

Die dritte Phase: Nach der Befreiung aus dem Lager

So oder so – einmal kommt der Tag, für jeden der Befreiten, an dem er, rückschauend auf das gesamte Erlebnis des Konzentrationslagers, eine merkwürdige Empfindung hat: er kann es nun selber nicht verstehen, wie er imstande war, all das durchzustehen, was das Lagerleben von ihm verlangt hat. Und wenn es in seinem Leben einen Tag gab – den Tag der Freiheit –, an dem ihm alles wie ein schöner Traum erschien, dann kommt einmal der Tag, an dem ihm alles, was er im Lager erlebt, nur mehr wie ein böser Traum vorkommt. Gekrönt wird aber all dieses Erleben dem heimfindenden Menschen von dem köstlichen Gefühl, nach all dem Erlittenen nichts mehr auf der Welt fürchten zu müssen – ausser seinen Gott.

Synchronisation in Birkenwald

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