Losfahren

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  • ISBN: 978-3906910109
  • Mein Rating: 7/10

Losfahren ist die Autobiografie von Manal al-Sharif, einer saudischen Frau. Sie liess sich am Steuer eines Autos filmen und veröffentlichte das Video im Internet, woraufhin sie verhaftet wurde und einige Tage im Gefängnis verbringen musste. Nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis bekommt sie Morddrohungen und sie verlässt Saudi-Arabien. Seither setzt sie sich für die Rechte der Frauen in der islamischen Welt ein.

Ich fand Losfahren eine faszinierende Autobiografie, die mir einen kleinen Einblick in eine für mich vollkommen unbekannte Welt gewährt hat, und aufzeigt, wie es ist, als Mädchen/Frau in Saudi-Arabien aufzuwachsen und zu leben. Interessant war auch zu sehen, wie die Autorin im Laufe der Zeit beginnt, gewisse Regeln in der saudischen Gesellschaft zu hinterfragen, wie das Autofahrverbot für Frauen. Gestört hat mich, dass jedes Mal, wenn Mohammed erwähnt wird, ein "Friede sei mit ihm" folgt.

Meine Notizen

Ein Land mit einem König und Millionen Königinnen

Gestern Nachmittag hatte mich die Polizei angehalten, ich hatte das Verbrechen begangen, das Auto meines Bruders zu fahren. Genauer gesagt bestand das Vergehen darin, als Frau am Steuer gesessen zu haben.

Hinter den Toren von Aramco gelten keine saudischen Regeln mehr. Frauen und Männer bewegen sich hier nebeneinander. Frauen müssen sich nicht verschleiern oder gar vollständig verhüllen. [...] Weder die lokale Polizei noch die saudische Religionspolizei darf das Aramco-Gelände betreten. [...] Der Konzern regelt seine Angelegenheiten unabhängig, wie ein abgeschotteter und eigenständiger Staat. Die saudische Geheimpolizei aber hat, wie ich in jener Nacht erfahren musste, trotzdem Zugang.

Ich war geschieden, und ohne Ehemann war nach saudischen Regeln mein Vater mein männlicher Vormund. Ohne seine Erlaubnis durfte ich weder arbeiten noch zur Schule gehen oder verreisen.

In Saudi-Arabien gelten Belästigungen nicht als Straftat. Der Staat, vor allem die Religionspolizei, gibt immer den Frauen die Schuld. Man behauptet, wir würden belästigt wegen unseres Aussehens, unserer Art uns zu bewegen, unseres Parfüms.

Kakerlaken und Gitterstäbe

In einem Gefängnis gibt es nichts zu tun. Das Leben scheint in Zeitlupe vorbeizuziehen. Man möchte sich umbringen angesichts der Langeweile, der totalen Leere. Jede Kleinigkeit wird zum Ereignis, das diese Leere füllt: Selbst eine Kakerlake, die an der Wand hochkrabbelt, wird zum Gesprächsthema.

Unreine Mädchen

Ich blutete drei Tage lang [...]. Sie konnten mich nicht zum Arzt bringen, denn obwohl die Genitalverstümmelung nicht offiziell verboten ist, stuften viele saudische Krankenhäuser sie als ein Verbrechen ein. Hätte man meine "Beschneidung" gemeldet, hätte der Friseur dafür angeklagt werden können.

Mekka im Belagerungszustand

Der Unterricht in den Mädchenschulen beschränkte sich auf die schulischen Kernfächer. Durch ein Gebot des Mufti war alles andere verboten. Wir hatten keinen Sportunterricht, spielten nicht Theater, es gab keinen Musikunterricht [...].

Wir lernten Stricken und Häkeln, Kuchen backen und Gemüse einlegen, denn obwohl wir zur Schule gingen, erwartete man von uns, dass wir später heirateten und im Haus blieben.

[...] die Lehrerinnen durften die Schülerinnen schlagen, wenn sie es für richtig hielten. [...] Sollte eine Schülerin bestraft werden, musste sie ihre Handflächen ausstrecken und wurde mit dem Lineal geschlagen. Aber das war noch nicht alles. Die Lehrerinnen zogen uns an den Ohren und an den Haaren. Sie schlugen uns ins Gesicht oder auf den Po.

Es war üblich, für falsche Antworten geschlagen zu werden. Das galt auch zu Hause, wenn meine Mutter mich den Koran auswendig lernen liess und abfragte.

Hinter dem Schleier

Angst bestimmte das Verhältnis zu unseren Eltern. Wenn sie uns nicht schlugen, verfluchten sie uns und machten uns mit Worten nieder.

Meine Barbie wird ermordet

Als Teenager verbrachten wir mindestens sechzig Prozent des Unterrichts mit Religionslehre oder religiösen Fächern [...].

Häufig besuchten religiöse Scheichs die Schule und sprachen über das hausinterne Lautsprechersystem zu uns Schülerinnen. Einen männlichen Prediger durften wir Mädchen und jungen Frauen nicht ansehen, wir waren aber verpflichtet, an diesen gesichtslosen Unterrichtsstunden teilzunehmen.

Diese religiösen Vorlesungen zielten mit aller Macht darauf ab, Gefühle von Schuld und Angst in unseren Herzen hervorzurufen. [...] Die Imame verbreiteten Horrorgeschichten über gewaltsame und brutale Todesarten, die Sünder oder auch nur nachlässige Gläubige erlitten. Ihre Stimmen steigerten sich zu einem Crescendo, sie erzählten diese Ereignisse, als wären sie wirklich im echten Leben geschehen, und als wären sie selbst Augenzeugen gewesen.

In religiösen Erörterungen galt Musik stets als "Postwurfsendung für Ehebruch" und als "Flötentöne Satans".

[...] ich gab mir die grösste Mühe, meine Familie davon abzubringen, Lieder zu hören, Fernsehen zu sehen oder Zeitschriften mit Fotos zu sammeln, denn in der Schule hatte man uns gewarnt, dass Fotos im Haus die Engel am Eintreten in die Wohnung hindern.

Extremismus macht aus seinen ergebenen Verfechtern häufig zornige Menschen, die von widersprüchlichen Absichten getrieben werden. Erst hatte ich Mitleid mit meinen weniger erleuchteten Eltern und Geschwistern. Dann wieder fühlte ich mich ihnen, diesen armen Sündern, überlegen. Dann verlor ich die Geduld, weil sie einfach nicht den einen wahren Weg sehen wollten, und flüchtete mich in Drohungen, Einschüchterungen und Geschrei.

Die verbotene Satellitenschüssel

An der Universität unterrichteten uns männliche Professoren, die wir aber nie von Angesicht zu Angesicht sahen. Das universitätsinterne Videoprogramm übertrug die Vorlesungen; wir sahen und hörten die Professoren, wie sie in anderen Hörsälen die männlichen Studenten unterrichteten, aber von uns bekamen sie nichts mit.

Ich begann, Artikel und Posts zu lesen, in denen die extremistische Ideologie der Salafisten kritisiert wurde. [...] Was ich las, wühlte mich zunehmend auf. Allmählich begriff ich, dass die Ideen, auf die ich mich eingelassen und die ich mein ganzen Leben lang blind verteidigt hatte, nur eine eigenartige, radikalisierte Sicht der Welt darstellten. Ich begann, alles in Frage zu stellen.

Nichts hat mehr dazu beigetragen, meine Überzeugungen und Ideen zu verändern, als die Einführung des Internets und später der sozialen Netzwerke.

Angestellt und wohnungslos

"Meine Damen, was machen sie da?", fragte [der Busfahrer]. Lamia und ich wechselten einen Blick. "Offensichtlich wollen wir einsteigen!", antworteten wir. "Entschuldigung, aber das geht nicht", antwortete er. "Warum nicht? Wir sind beide Aramco-Angestellte." - "Frauen dürfen nicht in den Aramco-Bus für Angestellte einsteigen, der Bus ist nur für Männer." - "Gut. Gibt es denn Busse für Frauen?", fragten wir. "Nein, meine Damen, das tut mir leid", sagte er. "Sie müssen aussteigen."

Liebe und der Falafel-Mann

"An unserem Hochzeitstag wirst du bei Aramco kündigen, und bis dahin bleibt unsere Verlobung geheim. Ich schäme mich, dass meine zukünftige Frau ihr Gesicht unverschleiert zeigt und zusammen mit Männern arbeitet."

An guten Tagen liebte ich ihn leidenschaftlich, an anderen hasste ich ihn. Wir schrien uns an, beleidigten uns gegenseitig, brachen Telefongespräche ab. Aber es gab keinen Weg zurück. Ich konnte die Hochzeit nicht absagen.

"Alle meine Freunde haben im ersten Jahr ihrer Ehe ihr erstes Kind bekommen, willst du, dass ich mich als Versager fühle?"

Ich war bei meiner Scheidung ebenso abwesend wie bei meiner Hochzeit.

Lebe frei

Sobald ich das Aramco-Gelände verliess, wurde mir bewusst, wie still es in der saudischen Welt zugeht. Keine Musik, nicht einmal in der Mall, und auch keine Filmvorstellungen oder Theateraufführungen. Es gab nur den Lärm der Strasse: das Quietschen der Reifen und Bremsen, Motorengeräusche, hupende Autos.

[...] als es in New Hampshire das erste Mal regnete, war ich ausser mir vor Freude. Wenn wir Saudis Regen sehen, rennen wir sofort vor die Tür. Ich sprang in meinem Büro auf und ab und schrie: "Es regnet, es regnet, los, lasst uns rausgehen." Meine Kollegen sahen mich an, als wäre ich verrückt geworden.

Frauen am Steuer

Immer wieder verunglimpften [Männer] die Kampagne für das Recht von Frauen, Autofahren zu dürfen, indem sie uns mit liederlichen und sittenlosen Frauen gleichsetzten, uns als schwache, unmoralische Charaktere bezeichneten. Die Kommentare klangen bedrohlich, sie beschuldigten uns unverblümt, junge Mädchen verderben zu wollen und "den Islam zu verraten".

Im Königreich saudischer Männer

Ich fuhr weiter und beobachtete die Gesichter der Fahrer, die mir entgegenkamen. Sie starrten mich an, manche verrenkten sich fast den Hals, als wir vorbeifuhren. Andere senkten zunächst die Augen oder schauten weg, und dann guckten sie hin, als ob sie ihren Augen nicht trauen könnten: Eine Frau am Steuer.

Wie die meisten Gefangenen schlief ich wenig. Schlafen war kaum möglich, wegen des Lärms, wegen der Kakerlaken, die über unsere Betten krochen, und wegen des Lichts, das 24 Stunden am Tag brannte.

Aboya [der Vater] geht zum König

Die saudische Gesellschaft ist voller Regeln, aber viele Regeln sind ungeschrieben und können willkürlich von einem Moment auf den anderen geändert werden.

Während der Freitagsgebete in den Moscheen standen die Imame im ganzen Land auf und applaudierten meiner Festnahme. In hitzigen Predigten beschuldigten sie mich, einen schlechten Einfluss auf andere Frauen zu haben. Sie verdammten mich. Ich würde die "Gesellschaft verderben". Sie klagten mich der Gotteslästerung und der Zerstörung des Islam an. Ich wurde als "Hure" und "Prostituierte" bezeichnet. Laut den Imamen war allein das Gefängnis der angemessene Ort für Manal al-Sharif.

Der Regen beginnt mit einem einzigen Tropfen

Anfang Dezember präsentierten Universitätsgelehrte, die im höchsten arabischen Religionsrat des Landes sassen, eine Statistik [...]. Die Statistik warnte die Mitglieder der Shura: Sollte es Frauen gestattet werden, Auto zu fahren, würden Prostitution, Pornografie, Homosexualität und Scheidungen steigen. In der Statistik wurde ausserdem angeführt: Wenn es Frauen erlaubt wäre, Auto zu fahren, gäbe es "innerhalb von zehn Jahren in Saudi-Arabien keine Jungfrauen mehr".