Ein Akt der Gewalt

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  • ISBN: 978-3453266797
  • Mein Rating: 8/10

In Ein Akt der Gewalt wird eine junge Frau, Katrina Marino, vor ihrer Wohnung überfallen und niedergestochen. Und obwohl Katrina um Hilfe schreit, und dadurch die Nachbarn alarmiert, schauen diese nur aus ihren Fenstern, doch niemand eilt ihr zu Hilfe oder ruft die Polizei...

Das Buch basiert auf dem Mord an Kitty Genovese, deren Tod zur Untersuchung des Phänomens führte, "dass einzelne Augenzeugen eines Unfalls oder kriminellen Übergriffs mit niedrigerer Wahrscheinlichkeit eingreifen oder Hilfe leisten, wenn weitere Zuschauer anwesend sind" (Wikipedia). Dieses Phänomen wird als Bystander-Effekt oder auch als Genovese-Syndrom bezeichnet.

Es ist schwierig, Ein Akt der Gewalt einzuordnen, aber ich würde das Buch nicht unbedingt als Thriller bezeichnen. Vielmehr ist es eine Momentaufnahme einer Gewalttat und dem Leben verschiedener Menschen. Da sind das Opfer und der Täter. Der korrupte und rassistische Polizist. Der als Kind missbrauchte Rettungssanitäter. Und natürlich die Nachbarn. Der Junge, der seine kranke Mutter pflegt, und zur Musterung für den Vietnamkrieg vorgeladen ist. Das Ehepaar, das Partnertausch ausprobiert. Der Mann, der seine homosexuelle Seite entdeckt. Und weitere.

Anfangs bekundete ich etwas Mühe mit den ständigen Wechseln zwischen all den verschiedenen Personen, aber letztendlich sind es genau diese Wechsel, welche dieses Buch ausmachen. Wobei ein etwas kleinerer Personenkreis wohl mehr gewesen wäre...

Der Schreibstil des Autors hat mir gefallen, er ist nüchtern, brutal und schonungslos. Manchmal schockierend. Manchmal berührend. Auf jeden Fall hat mich dieses Buch nachdenklich zurückgelassen...

Zitate aus dem Buch

Der Wagen räuspert sich wie ein Raucher, der drei Packungen am Tag pafft.

[...] natürlich enthalten auch die Zeitungen mit dem heutigen Datum nur alte Neuigkeiten, Neuigkeiten über die Dinge, die bereits geschehen sind, Dinge, an denen sich niemals mehr etwas wird ändern lassen.

Er stellt sich vor, nach Vietnam zu fliegen. Er stellt sich vor, auf dem Hinweg einen Sitzplatz im Flugzeug zu haben, aber den Heimweg in einem Leichensack oder einem Sarg anzutreten, zusammen mit vielen anderen und aufgestapelt wie Gerümpel in irgendeinem Frachtraum.

Nach Patricks Überzeugung eignet sich ein Fernrohr am ehesten dazu, Nachbarn auszuspionieren. Die sind interessanter als alle Planeten und haben dazu weitaus mehr Persönlichkeit.

"Nur weil wir keine Kinder haben, brauchst du mich noch längst nicht wie eins zu behandeln."

Thomas ist auf keinem der Fotos zu sehen. Er kann sich im Spiegel betrachten, wann immer ihm danach ist.

"Kann man nicht ein Mal seine verdammte Ruhe haben?" Die Musik wird lauter statt leiser. Eine Frau lacht. Kurz erwägt Thomas tatsächlich, nach unten zu stürmen, die verfluchte Tür einzutreten, den Typen da unten einem nach dem anderen eine Kugel ins Hirn zu pusten und schliesslich eine Salve in ihren verschissenen Plattenspieler zu jagen, um mit Freuden zu sehen, wie Holz und Vinyl auseinanderplatzen und splittern.

Vielleicht hätten sie es etwas leichter, wenn er noch staubsaugen würde. Aber müssten sie nicht ohnehin den Teppich auswechseln? Auch wenn er nichts von seiner Hirnmasse darauf verspritzen würde – was sich aber kaum vermeiden liesse –, dürfte er vermutlich auf den Boden fallen, und wenn eine Woche verginge, bevor ihn jemand fände, hätte er mit Sicherheit begonnen auszulaufen, und der Teppich wäre ruiniert.

Thomas trägt den passablen [Anzug]. Er möchte anständig aussehen, wenn sie ihn finden, selbst wenn er dann aufgedunsen ist und das Blut sich in seiner unteren Körperhälfte gesammelt hat und langsam wie Schweiss aus seinen Poren sickert. Seinen guten Anzug will er aber nicht ruinieren. Den werden sie brauchen, um ihn darin zu beerdigen.

"Was ist mit deiner Tochter?" fragt Christopher. "Sie ist mitgereist nach Kalifornien." - "Mitten im Schuljahr?" - "Frühlingsferien", sagt Thomas. "Ich dachte, die Frühlingsferien seien erst nächsten Monat." Thomas zuckt die Achseln. "Inoffizielle Frühlingsferien."

"Es gibt Menschen, die wirklich nichts haben, und trotzdem finden sie Gründe, jeden Morgen aus dem Bett zu steigen."

"Ich finde es nicht bewundernswert, einfach nur so am Leben zu bleiben. Wenn man keinen Grund hat, morgens aufzuwachen... ich meine, keinen Grund ausser der Arbeit... was soll das alles dann noch?"

"Man legt nicht einfach die Hände in den Schoss und gibt auf. Man macht nicht so einfach Schluss." - "Warum denn nicht? Was ist so besonders am Leben?" Christopher sieht ihn lange schweigend an und sagt dann: "Es ist alles, was wir haben."

Überall ist Blut, und er nimmt an, dass es seins ist, denn sonst ist doch niemand da, von dem es stammen könnte.

Als Alan Kees vor fünf Jahren den Polizeidienst antrat [...] hatte er tatsächlich noch die Vorstellung, er könnte Gutes tun – die Bürger beschützen, für ihre Sicherheit sorgen –, aber es dauerte keine sechs Monate, da sah er in dieser Vorstellung höchstens noch ein kurioses Konzept aus unschuldigeren Zeiten.

Alan kann überzeugend sein, wenn es darauf ankommt, und er setzte seinen geballten Charme ein und dazu einen Kugelhammer, mit dem er zuerst den kleinen Zeh an Big Fishs linkem Fuss zertrümmert, und dann den nächsten Zeh und dann den übernächsten. Bevor Alan den letzten unter den Hammer bekam, hatte Big Fish auf einmal viel zu sagen, hätte ihnen alles Mögliche erzählt, hätte ihnen geschworen, seine Mutter sei nichts als eine räudige Nutte.

"Sollten wir nicht die Polizei rufen?" [...] "Ich bin sicher, das hat schon jemand getan", sagte er schliesslich. "Und wir wollen doch nicht mit überflüssigen Anrufen die Leitungen blockieren."

"Ich wünschte, ich hätte es geschafft, abzudrücken, bevor du vorbeigekommen bist. Hätte mir eine Menge Peinlichkeiten erspart."

Er muss zurück und zu Ende bringen, was er begonnen hat. Selbst wenn es bedeutet, dass die Polizei ihn erwischt, selbst wenn es bedeutet, dass er den Rest seines Lebens im Gefängnis verbringen muss – das hätte sogar etwas Gutes: Er müsste vor seiner Frau und seinen Kindern nicht mehr verheimlichen, wie er wirklich ist, und hätte auch keine Möglichkeit mehr, jemand anders wehzutun.

Er entsinnt sich an etwas, das sein Dad ihm gesagt hat, bevor er starb. Alle mutigen Männer haben Angst, sagte er zu Frank – alle: Wenn ein Mann keine Angst vor etwas hat, vor dem sich normale Menschen fürchten, macht ihn das nicht zu einem mutigen Mann, sondern zu einem Dummkopf. Ein mutiger Mann ist der, der Furcht verspürt, aber trotzdem tut, was er tun muss.

"Verstehst du denn nicht? Ich will ihn doch nicht umbringen. Ich will ihn nur nicht retten."

[...] sie kann sie spüren, diese Augen, diese Leute, von denen sie beobachtet wird. Sie geben keinen Laut von sich. Aber sie sind da. Und sie helfen nicht.

Wenn Gott sie unbedingt sterben lassen wollte, hätte er wenigstens dafür sorgen können, dass es schnell ginge, schnell und schmerzlos. Er hätte es nicht zu dieser Tortur machen müssen.

"Meinst du immer noch, du bist schlauer als ich?" - "Ich schätze, die meisten Zimmerpflanzen sind schlauer als sie."

"Was sie denken, ist unerheblich. Es kommt darauf an, was ich denke. Hier herrscht Hierarchie, und ihr Platz ist ganz unten, verstanden?"

Irgendwie fand sie es damals unheimlich komisch, Haustieren den Namen anderer Tiere zu geben. So hatte sie eine Katze, die sie Pferd nannte. Aber es ist Dinosaurier, der Hund, an den sie im Moment denkt.

Sein weisser Wanst, der reinste Fettklumpen, quillt auf die Couch wie nicht ausgerollter Brotteig.

Ist es das hier, was sie gestern Abend gesehen hat, als sie aus dem Fenster schaute – dieses viele braune Blut? Das kann es nicht sein, was sie gesehen hat; sie hätte auf jeden Fall die Polizei gerufen.