Das Leben ist ein wildes Tier

Wie ich die Gefahr suchte und mich selber fand

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  • Buch auf Amazon
  • ISBN: 978-3785724408
  • Mein Rating: 8/10

In Das Leben ist ein wildes Tier erzählt der Autor von seiner Arbeit als Journalist und seinen unzähligen Reisen in die Krisen- und Kriegsgebiete dieser Welt, wie zum Beispiel in den Irak oder nach Afghanistan.

Ich fand Das Leben ist ein wildes Tier ein eindrucksvolles Buch. Es ist spannend geschrieben, man merkt, dass der Autor kein Anfänger ist, was das Schreiben und das Erzählen von Geschichten anbelangt. Besonders beeindruckt hat mich die Geschichte mit dem einarmigen und -beinigen Bettler auf den Philippinen, der schliesslich ermordet wurde. Anfangs konnte ich nur den Kopf schütteln über die Naivität, mit welcher der Autor in den Krieg gezogen ist, und es war interessant zu sehen, wie er im Laufe der Zeit aufgrund der gemachten Erfahrungen reifer, und sympathischer, wurde. Da das Buch bereits 2011 erschienen ist und der Autor noch relativ jung ist, hoffe ich, dass es irgendwann eine Fortsetzung geben wird.

Meine Notizen

Deutschland

Jeden Tag vergeude ich in diesem Industriegebiet mit Dingen, die mich nicht interessieren, mit Menschen, deren Leben auf Sparflamme köchelt – ohne Risiko, ohne Fehler, ohne Gewinn, ohne Niederlagen, ohne Triumphe. [...] Ich will in meinem Leben keine Stechuhr, sondern Spannung und Abenteuer. Nur wie?

Leider habe ich keinen blassen Schimmer, was ich aus mir und meinem Leben machen möchte. Ich ahne, dass mir eine Zukunft bevorsteht, in der ein Tag dem nächsten gleicht und in der heute wie gestern ist, wie morgen, wie immer.

Die Parallelwelt des Münchner Nachtlebens macht mein Dasein in der Spedition erträglicher. Manchmal gehe ich direkt aus dem Club ins Büro, nach Rauch stinkend und mit Koksresten in der Nase. Kokain lässt sich auch wunderbar auf der Personaltoilette nehmen und macht Aktenkopieren zu einem aufregenden Erlebnis.

[...] nachts liege ich wach und überlege, ob dies alles ist, was mir das Leben zu bieten hat. Es muss doch etwas geben, das mich erfüllt. Nicht nur ein Beruf, sondern eine Berufung. Ein Leben zu führen, auf das man stolz sein kann, nicht nur ein bezahlter Zeitvertrieb. Etwas Eigenes erschaffen, eine Aufgabe erfüllen. Ich will Spuren hinterlassen.

Ich bin auf der Suche, allerdings weiss ich nicht genau, wonach – aber ich will es finden. Es gibt viele Wörter dafür: Leben, Sinn, Erfüllung, Bestimmung, Glück. Miete zahlen, Sportschau gucken oder Fahrrad fahren reichen mir nicht, um mein Leben auszufüllen. Ich will mehr. Laos, Vietnam, China, die Mongolei, Burma, Nepal, Ecuador, Kolumbien bringen es irgendwann auch nicht mehr. Ich zickzacke durch die Welt – das ist mein Trip, meine Dröhnung, und die Wirkung wird mit jeder Reise geringer.

[...] schliesslich bekomme ich einen Platz für den Studiengang Journalistik [...]. Ich hatte von Journalismus keine Ahnung. Aber es klang cool. Als rasender Reporter zu den Brennpunkten der Welt, Geschichte live erleben.

Afghanistan 2004

In Afghanistan herrscht Krieg. Was also liegt näher, als dort meine Karriere als Journalist zu beginnen?

"Du willst also den Krieg sehen?" - "Yo, das will ich, Sir!" - "No problem", sagt er und fragt mich, auf was ich denn Lust hätte: Wiederaufbauteams begleiten, Hubschrauber fliegen, amerikanische Ausbilder dabei beobachten, wie sie afghanische Soldaten drillen. Oder an die Front.

Ich will, dass endlich etwas passiert: ein Angriff der Taliban, ein Hinterhalt während einer Patrouille, ein Gefecht, irgendetwas. Ich habe nur noch ein paar Tage Zeit, bevor ich zurück nach Deutschland fliege.

Ich bin seit fast drei Monaten in Afghanistan, und es ist das erste Mal, dass ich bei einem Gefecht dabei bin. Es kommt mir unwirklich vor, surreal [...]. Ich fühle nichts; keine Angst, keine Panik. [...] Ich stelle mir nicht die Frage, ob ich in ein paar Minuten noch lebe oder was passiert, wenn eine Kugel meinen Körper trifft. Tod, Verwundung – diese Gedanken lasse ich nicht zu. Ich habe keine Zeit, Angst zu haben.

"Ich halte das für keine gute Idee", sage ich. "Ich bin Journalist, Beobachter – kein Soldat." [...] "Du hast zwei Wochen mit uns gegessen, wir haben dich wie einen von uns behandelt. Aber jetzt haben wir zu wenig Leute hier, wir brauchen dich. Du nimmst jetzt das Gewehr und hälst Wache. Wenn irgendwas vor dir auftaucht, ein Schatten, ein Schaf, alles, was keine amerikanische Uniform trägt – dann schiesst du!"

Ich habe den Krieg gesehen, das Adrenalin und den Kick gespürt. Ich bin hin- und hergerissen, weil die schrecklichsten Erlebnisse meines Lebens gleichzeitig die intensivsten waren. Ich habe mich noch nie so lebendig gefühlt...

Darfur, Sudan 2005

Reisen zwingt einen dazu, Fremden zu vertrauen.

Lachen hilft nicht, das Erlebte zu vergessen, aber es macht es erträglicher, weil es menschlich ist. Jungs lachen beim Fussballspielen vor den Zelten, Frauen beim Wasserholen, Männer beim Teetrinken. Es wirkt anfangs so fehl am Platz, und doch ist Lachen wohl nirgendwo besser aufgehoben, als an diesem Ort der Hoffnungslosigkeit.

Vor meiner Abreise in den Sudan ging es nur um mich und darum, was ich erleben wollte. Vielleicht hielt ich Kriegsberichterstattung auch nur für ein Karrieresprungbrett. Vielleicht wollte ich mich auch einfach nur wichtig machen. Was auch immer. Ich habe viel gelernt auf dieser Reise. Auch über meine eigene Dummheit und Naivität. [...] An dieser Reise war nichts romantisch, nichts heldenhaft; nur Leid, Tod, Verzweiflung. Ich blicke zurück und frage mich, was ich eigentlich gesucht habe. Gefunden habe ich die Realität des Krieges.

Somalia 2008

Risiken eingehen, Träume verwirklichen, schön und gut – aber wie willst du dann die Miete und Versicherungen zahlen, höre ich immer wieder. Langeweile ersetzt Träume, das ist sicherer.

Oft ist es heute so, dass Redaktionen eine Mount-Everest-Expedition verlangen, aber nur eine Rikschafahrt bezahlen wollen.

Es ist das mieseste Gefühl, das man sich vorstellen kann: der Willkür eines bewaffneten Menschen ausgeliefert zu sein, ohne zu wissen, ob er gleicht abdrückt oder mich leben lässt.

"Erst kamen die verdammten Warlords und jetzt auch noch Allahs Hinterwäldler, die nur den Koran kennen und uns ihre Ideologie aufzwingen."

Kongo 2008

Internet, Radio, Fernsehen – die Medien berichten. Und trotzdem ändert sich nichts. [...] Zum ersten Mal wird mir bewusst, dass ich die Situation nicht ändern kann. Ich kann nur darüber berichten und hoffen, dass es jemand liest. Aufmerksamkeit schaffen – das ist wohl das Maximum für einen Journalisten.

Irak 2006/2007

Manchmal habe ich den Eindruck, dass meine Existenz eine einzige Aneinanderreihung von Reportagen ist.

[...] ich führe das Leben, von dem ich als Junge geträumt habe, nur ist es viel spannender, als ich es mir ausgemalt hatte. Und ich habe es allen meinen Zweiflern gezeigt: Träume können in Erfüllung gehen. Glücklich bin ich nicht, dafür halte ich mich an den falschen Orten auf. Aber zufrieden mit mir und mit dem, was ich mache.

Länger als drei, vier Wochen halte ich es in Deutschland nicht aus. Es ist das Paradies: schön, sicher, reich, Museen, Theater, Bars, Parks – alles, was ich auf meinen Reisen vermisse. Aber ich beginne mich schnell zu langweilen. Ich bin auf Entzug, wie ein Junkie, der den nächsten Schuss braucht. Dann juckt es in den Füssen, die Finger kribbeln, im Kopf brodelt es – und ich muss wieder los.

Ich war schon oft bei diesen nächtlichen Razzien dabei. Und noch immer fühle ich mich schlecht. Was würde ich machen, wenn nachts fremde, bewaffnete Besatzer in mein Haus kämen, mich aus dem Schlaf rissen, meinen Besitz durchwühlten, mich mit der Waffe bedrohten und in einer fremden Sprache anbrüllten?

Verdammt, ich bin angeschossen. Aber ich habe keine Schmerzen. Und auch sonst fühle ich nichts, kein Herzklopfen, keine Angst, kein Zittern. Ich habe eine Kugel im Bein stecken, als wäre es das Alltäglichste der Welt.

Afghanistan 2005 bis 2009

"Frauen? Die gehören ins Haus und nicht auf die Strasse."

"Ein Kerl, der seine Frau nicht schlägt, wird bei uns 'ein Mann ohne Penis' genannt."

Ich lehne Krieg und Gewalt grundsätzlich ab. Aber manchmal kann man Gewalt nur mit Gewalt bekämpfen. Nur nein sagen hilft nicht.

Je häufiger ich dieses Land besuche, desto weniger verstehe ich es, und ich frage mich, für wen oder was hier eigentlich gekämpft wird.

Ich glaube, dass ich eine Aufgabe zu erfüllen habe: hinsehen, wo andere wegsehen.

Burma 2009

Mir gibt man den Namen Klaw Pah Gwaw, das bedeutet "Rote männliche Kuh". Weil einer der Rebellen Deutschland mit Milchkühen in Verbindung bringt. Aber warum rot? "Weil du ständig in der Sonne Bücher liest und einen Sonnenbrand hast."

"Jeder Zivilist darf ohne Warnung erschossen, gefoltert, vergewaltigt werden."

Philippinen 2008

Mein Leben ist wie Speeddating: Man kommt, redet ein bisschen, schaut sich um, zieht weiter zum nächsten Ort, alles in Eile.

[...] die Wächter am Friedhof wollen mich nicht reinlassen. Zu gefährlich sei es dort drinnen für Ausländer, behaupten sie; all das Gesindel, das obdachlose Pack, Mörder und Junkies. Aber ich könne mir eine Genehmigung beim Bürgermeister holen, dann liesse man mich ein.

"Ich habe den Mann nicht gekannt." Trotzdem teilen sich der Obdachlose und der Tote seit fast fünfzehn Jahren ein paar Quadratmeter in der 21. Strasse auf dem Nordfriedhof von Manila [...].

Ich kämpfe damit, kein Zyniker zu werden. Versuche, mir die Naivität zu bewahren, die Welt verändern zu können. Ich weiss, wenn ich das verliere, muss ich mir einen neuen Beruf suchen.