Blätterflüstern

Mein Weg zurück ins Leben

von

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  • ISBN: 978-3952472712
  • Mein Rating: 7/10

Blätterflüstern ist der zweite Teil der Autobiografie von Philipp Gurt, der in verschiedenen Heimen aufgewachsen ist und dort Gewalt und sexuellem Missbrauch ausgesetzt war. In Blätterflüstern schildert er seinen Lebensweg seit der Entlassung aus dem Heim mit sechzehn, und erzählt von seinen Schwierigkeiten, sich in der Gesellschaft zurechtzufinden.

Mich hat der Lebensweg von Philipp Gurt beeindruckt, insbesondere, wie er es vom Hilfsarbeiter zum gutbezahlten Manager geschafft hat (und danach zum erfolgreichen Autor). Bei Blätterflüstern hat mir gelegentlich der Hintergrund gefehlt, da ich den ersten Teil, Schattenkind, nicht gelesen habe. Sein Schreibstil ist offen und direkt. Mühe hatte ich hingegen mit den zahlreichen Abschnitten in Bündner Dialekt. Die Struktur fand ich teilweise seltsam. So gibt es zum Beispiel ein Kapitel, welches fast nur aus Landschaftsfotos seines Bruders besteht. Sie sind zwar sehr schön, aber wirken fehl am Platz. Ein anderes Beispiel ist ein grosser Zeitsprung zwischen zwei Kapiteln: war er im einen Kapitel noch unverheiratet und kinderlos, so verlässt ihn im nächsten Kapitel gleich am Anfang seine Frau mitsamt Kind. Zwar gibt es danach noch einen Rückblick, doch fand ich diesen Bruch im chronologischen Ablauf irritierend.

Meine Notizen

Rückblende Schattenkind

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Nicole Deck

Bald war mir klar, sie wollte wirklich sterben, ihrem Leben ein Ende setzen. Wie ich halt so bin, konnte ich es nicht einfach so hinnehmen, argumentierte dagegen und hielt diese oder jene Möglichkeit für eine bessere Zukunft in die Höhe, ohne selbst so recht daran zu glauben.

Da sie blind war, forderte sie mich irgendwann ultimativ auf, ihr nun endlich zu helfen, sie nicht im Stich zu lassen. Mir war klar: Wenn ich ihr ein Tötungsinstrument in die Hände legen würde, hätte es mich noch lange belastet. Aber sie so leiden zu sehen, Tag für Tag das Grauen zu fühlen, in dem sie feststeckte, konnte ich nicht weiter zulassen. Nach langem Ringen habe ich ihr gesagt, dass ich mich – wenn schon – mit Kohlenmonoxid umbringen würde.

Sie war ein wenig wütend, als ich ihr das Kohlenmonoxid mit entsprechender Maske nicht besorgen wollte. Ich fühlte mich wirklich schlecht damals, es nicht zu tun. Ich empfand mich als sehr feige. Aber die Vorstellung, mit dem Gas zu ihr in die kleine Wohnung zu fahren, ihr die Maske aufs Gesicht zu spannen [...] und dabei zuzusehen, wie sie stirbt, war für mich unerträglich!

Die Person, die ihr das Gift besorgt hatte, achtete leider nicht darauf, dass sie es auch korrekt einnahm. Da sie blind war, hatte sie einen Teil beim Zubereiten der Mixtur verschüttet und deshalb einen stundenlangen Todeskampf durchleiden müssen. [...] Irgendwie fühle ich mich noch heute schuldig, nicht den Mut aufgebracht zu haben, bei ihr Sterbehilfe zu leisten.

Der letzte von 4'220 Tagen!

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Draussen?

Vor allem der Anblick der vielen vom Leben gezeichneten Alkoholiker in deren unterschiedlichen Rauschzuständen sorgte dafür, vom Alkohol die Finger zu lassen. Ich wollte und will einfach hundertprozentig sichergehen, dass mich niemand je so besinnungslos auf einem Tisch oder am Boden liegend liegend findet. Wenn ich auch nur einmal den ersten Rausch erlebt hätte – ich wäre in Papas Fussstapfen getreten!

Die groben Arbeitsschuhe hatte er für mich in einem Geschäft "ausgeliehen". Er tauschte das erste Paar sogar, denn als ich es anprobierte, waren sie mir leider zu gross. Da kannte mein Papa nichts: Den Kassenbeleg hätte er halt verloren, sagte er der Verkäuferin gut gelaunt.

Schnell versackte ich noch tiefer im Milieu. Irgendwie fühlte ich mich zugehörig unter all den gescheiterten Existenzen, die alle entweder der Vergangenheit nachhingen oder diese zu Tode zu saufen versuchten und von besseren Zeiten faselten – doch die würden mit Sicherheit nicht kommen, denn die allermeisten waren nicht bereit, ihren Arsch dafür zu bewegen. So viele schienen einfach festgefahren zu sein, als drehten sie sich in einem imaginären Kreisverkehr, ohne die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass Strassen davon abzweigen.

Pulvermühlestrasse Nr. 5

"Ich komme mir wirklich wie eine kleine Maus vor. Eine Maus, die auf einem unendlich grossen, asphaltierten Platz ziellos herumrennt und ihren Bau einfach nicht finden kann. Etwa so fühle ich mich."

Ein komisches Gefühl, neben jemandem zu stehen, der einen zwar geboren, aber nicht grossgezogen hatte. Auf dem Papier waren wir zwar Mutter und Sohn, in der Realität aber völlig fremd [...].

Wunderwelt Graubünden!

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14 Jahre nach Heimaustritt

"Weisst du, Philipp, es gibt verschiedene Arten von Lebensläufen. Die einen sind gut für Bewerbungsunterlagen, andere fürs Leben."

Mir war klar, dass ich eine ganz andere Tätigkeit finden musste, um innert überschaubarer Zeit die Schulden abzuzahlen. Bei meinen bisherigen schlechtbezahlten Hilfsarbeiterjobs erhielt ich manchmal keine zweitausend Franken. [...] Dann entdeckte ich ein Inserat: Werbeverkäufer von Inseraten für Stadtpläne gesucht. Beim Vorstellungsgespräch wurde mir erklärt, dass ich von Firma zu Firma gehen musste, um Inserate von der Grösse einer Visitenkarte zu verkaufen. [...] Da ich psychisch nicht in der Lage war, das Haus regelmässig zu verlassen, organisierte ich mir einen Telefonanschluss. [...] Von morgens bis abends telefonierte ich eine Firma nach der anderen ab. [...] Mit den Provisionen verdiente ich im ersten Monat knappe 9'000 Schweizer Franken [...].

Menschen werden nicht "böse" geboren. Ihre Geschichte hat sie verbogen, verändert, genau wie bei mir. Das verbindet alle Menschen – wir sind ein Produkt unserer Kindheit, unseres Umfeldes.

Tagtäglich

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